In Erwartung einer höheren Inflation hat das südkoreanische Finanzministerium die Prognose für das Wirtschaftswachstum des Landes für 2022 von 2,7 % auf 2,6 % gesenkt. Auch die Inflation in Südkorea wird 2022 voraussichtlich um 4,7 % steigen und damit über der vorherigen Schätzung der Regierung von 4,5 % liegen.
Die globalen Volkswirtschaften sehen sich aufgrund steigender Verbraucherpreise mit einer Konjunkturabschwächung konfrontiert, und die Weltbank hat vor der Gefahr einer Stagflation gewarnt. Mehrere Länder haben in den letzten Monaten ihre BIP-Wachstumserwartungen gesenkt, darunter die G20-Länder, die USA, die Länder der Eurozone, Japan, China und Indien.
Südkorea senkte seine Wirtschaftswachstumsprognose, nachdem Fitch Ratings am 15. Juni die Wachstumsaussichten des Landes für 2022 auf 2,4% gesenkt hatte. Fitch sagte, es habe die BIP-Wachstumszahlen um 0,3% gesenkt, da man ein verlangsamtes globales Wachstum und Chinas wirtschaftliche Abschwächung als “externe Herausforderungen” für Südkoreas Wirtschaft ansieht.
Südkoreas Inflation und verlangsamtes Wachstum
Die Talfahrt Südkoreas begann im April, als das Land aufgrund höherer Energie- und Rohstoffkosten sein erstes Leistungsbilanzdefizit verzeichnete. Die exportabhängige Wirtschaft des Landes steht auf wackligen Beinen, da die Lieferungen in den letzten Wochen zurückgegangen sind.
Die Anhebung der Leitzinsen um 0,75 % durch die US-Notenbank aufgrund der in der vergangenen Woche gemeldeten höheren Inflationszahlen wird die Bank of Korea wahrscheinlich noch stärker unter Druck setzen. Der Gouverneur der Zentralbank, Rhee Chang-yong, hat eine weitere Zinserhöhung im nächsten Monat angekündigt, um den Preisdruck unter Kontrolle zu halten. Die Bank of Korea hatte zuvor erklärt, dass die steigende Inflation in Südkorea ein größeres Risiko darstelle als die Verlangsamung des Wachstums.
“Unsere Wirtschaft und unsere Märkte werden erschüttert, da wir aus Angst vor einer Stagflation in eine komplexe Krise geraten sind”, sagte Präsident Yoon Suk-yeol in einer Rede am 16. Juni.
Im Mai stiegen die Verbraucherpreise in Südkorea um 5,4 % und damit so schnell wie seit 2008 nicht mehr. Die Zentralbank des Landes geht davon aus, dass sie auch im Juni über 5 % liegen werden.
In der Zwischenzeit erklärte das Finanzministerium, dass die Wirtschaft zwar langsamer wachsen werde als bisher erwartet, die Zahl der Beschäftigten im Lande aber bis 2022 um 600.000 steigen werde, was einer Verdoppelung der bisherigen Schätzung von 280.000 entspricht. Anfang dieser Woche meldete Südkorea eine Arbeitslosenquote von 2,8 % im Mai, die damit höher lag als 2,7 % im April.
Das Land rechnete bisher mit einem Leistungsbilanzüberschuss von 80 Mrd. Dollar, doch das Finanzministerium erwartet nun einen Überschuss von 45 Mrd. Dollar und macht dafür den starken Anstieg der Ölpreise verantwortlich. Dies spiegelt jedoch die langfristige Perspektive wider, da Südkorea auch kurzfristig mit Problemen in der Lieferkette zu kämpfen hat.
Probleme in der Lieferkette und neue Pläne
Samsung Electronics, der weltgrößte Smartphone-Hersteller und das Flaggschiff der Samsung-Gruppe, erklärte am 16. Juni, dass es neue Beschaffungsaufträge gestoppt und die Zulieferer gebeten habe, die Lieferung von Komponenten zu verzögern oder zu reduzieren, und begründete dies mit steigenden Lagerbeständen und der weltweiten Inflation.
Samsungs Entscheidung kommt überraschend, da das Unternehmen für den Rest des Jahres mit guten Absatzzahlen rechnete, nun aber aufgrund der steigenden Inflation pessimistische Aussichten für die Wirtschaft hat.
Unabhängig davon wurden die Lieferketten in Südkorea in der vergangenen Woche durch einen Streik der Lastwagenfahrer unterbrochen, der das Land 1,2 Mrd. USD an Produktionsausfällen und nicht erfüllten Lieferungen kostete. Der achttägige Streik der Lkw-Fahrer wurde am 14. Juni beendet, nachdem die Regierung Mindestlohngarantien zugesagt hatte.
Der größte Stahlhersteller des Landes, Posco, musste seine Produktion aufgrund des Lastwagenfahrerstreiks drosseln, was sich wiederum auf den Petrochemiesektor auswirkte. Hyundai Motor, das Petrochemieunternehmen Hanwha Corp und LG Chem waren mit am stärksten betroffen.
Um den Inflationsdruck zu bekämpfen, hat die Regierung geplant, den maximalen Körperschaftssteuersatz auf 22 % zu senken. Präsident Yoon hatte in seinem Wahlkampf eine “privatwirtschaftlich geführte Wirtschaft” hervorgehoben, und es ist wahrscheinlich, dass er Maßnahmen für Unternehmen einführen wird, um höhere Mindestlöhne und steigende Kreditkosten zu bewältigen.
Seoul hat verschiedene Pläne, um seine Wirtschaft zu stützen, und die Regierung kündigte kürzlich an, dass der USD/KRW-Kassamarkt nun täglich 17 Stunden lang gehandelt werden soll, um ausländisches Geld anzuziehen. Gegenwärtig sind nur Devisenhändler mit lokaler Lizenz auf dem Markt zugelassen. Dies wird sich jedoch schon in Kürze ändern, da Südkorea nun auch die Teilnahme ausländischer Devisenhändler zulassen wird.
Da Südkorea unter der hohen Inflation und den steigenden Kosten leidet, trafen sich am 16. Juni die höchsten Wirtschafts- und Finanzbeamten des Landes, der Finanzminister und der Chef der Zentralbank, sowie der Berater des Präsidenten für wirtschaftliche Angelegenheiten, um die Wirtschafts- und Finanzmarktlage zu erörtern.